Von einer Angestellten in einer Dresdner Buchhandlung wurde mir Das Paradies der Schwerter empfohlen. Es sei „richtig gut, ein Tipp“. So richtig glauben konnte ich es nicht, aber ich habe versucht, ihr zu vertrauen und das Buch daher mitgenommen. Die Kurzfassung des Buches könnte mit „Textuelle Ausarbeitung eines Rollenspielkampfes“ überschrieben sein und passt in vier Worte: „Mortal Kombat in Papierform“. Die Langfassung folgt im restlichen Beitrag.
Rückentext:
Ein Kultbuch der neuen Generation
Sechzehn Männer reisen durch eine bizarre, apokalyptische Landschaft, einem Turnier entgegen: In verschiedenen Paarungen sollen sie mit eigenes gewählten Waffen gegeneinander antreten. Doch auch wenn ein Preisgeld winkt, geht es in Wahrheit nur um Leben und Tod – und darum, die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen. Und je weiter das Schauspiel voranschreitet, desto deutlicher begreifen die Teilnehmer, dass es am Ende vielleicht gar keinen Sieger geben wird…
Mit meisterhafter Sprache webt Shooting-Star Tobias O. Meißner eine fesselnde Mischung aus Thriller und Fantasy.
Die Ankündigung schlägt in die gleiche Kerbe schlägt wie die Dresdner Buchhändlerin. Nun denn, lasset uns beginnen:
Das Werk von Tobias O. Meißner bedient sich in seinem Fantasy-Thriller einer detaillierten, abwechslungsreichen Sprache. Im Gegensatz zu Büchern anderer Autoren ist Meißners Schreibstil natürlich: Er „erzählt“ das Geschehen, wie es ist. In einem Interview beschreibt er sein Verhältnis zu herkömmlicher Fantasy als „So ähnlich wie das Verhältnis zwischen einem klassischen amerikanischen Edelwestern zu einem dreckigen Italowestern.“. Willkommen im Dreck.
Die Handlung beginnt als „normale“ Fantasy-Geschichte in einer Welt, von der man allerdings nur das notwendigste erfährt. Sie könnte reell mittelalterlich sein, denn Technik und Magie werden nicht erwähnt, aber sie könnte auch in ferner Zukunft spielen, denn es kommen teilweise recht moderne Formulierungen vor. Selbst die Namen der Städte scheinen nicht wichtig, weshalb die Stadt, in der das Turnier stattfinden wird, auch nur als „die Befestigte Stadt“ bekannt ist.
Meißner lässt sich viel Zeit, die Teilnehmer vorzustellen und einzusammeln. Für jeden Teilnehmer werden die Beweggründe und die Umstände geschildert, wie sie vom Turnier erfahren und wieso sie daran teilnehmen möchten. So unterschiedlich die Charaktere sind, so unterschiedlich ist auch der jeweilige Erzählstil. Meißner passt seine Schreibweise den Charakteren an.
Eine Kostprobe:
Einige folgen Sauls Spur, sagt man.
In Zeiten wie diesen, wo Kriege keinen Namen mehr brauchen und erst recht keinen Anlass, ist die Schneise, die Saul durchs Land zieht, wie ein Wegweiser. Die Schneise ist nicht sehr breit, einen Schritt vielleicht, eben genauso breit wie das Ding, das er hinter sich herzieht und das die Leute ehrfurchtsvoll „den Pflug“ nennen.
Triffst Du auf die Schneise, auf deiner Wanderung oder deiner Flucht, so bieten sich dir zwei Möglichkeiten, ihr zu folgen. Gehst du dorthin, wohin die Spur führt, dann kann man dich mit Fug und Recht einen Abenteurer nennen, denn wenn du schnell genug bist, begegnest du vielleicht Saul selbst, am Ende dieser Spur, und vielleicht bleibst du dann dort für immer, und Sauls Spur frißt sich weiter, dein Grab nur eine unmarkierte Stelle längst des Weges. Wenn du dich aber dorthin wendest, wo die Spur herkommt, findest du vielleicht eines Tages den Ort, wo Saul begann, einen Ort, den er selbst schon längst vergessen hat. Du bist dann einer mit einem Traum, denn am Anfang der Schneise liegt ein machtvoller Schatz, oder das Paradies sagt man.
Sechzehn Leute sind recht viele Protagonisten für ein Buch und dementsprechend lange dauert es, bis alle Geschichten um die Personen erzählt sind. Das Turnier beginnt erst nach der Hälfte des Buches. Wieso beispielsweise Veldeon Balkwist am Turnier teilnimmt, wird als Geschichte über 24 (vierundzwanzig!) Seiten erzählt.
Von den Erzählungen abgesehen ist das Buch ein einziges Gemetzel. Es ist verstörend und brutal und daher zwiespältig. Durch die hohe Anzahl Teilnehmer kann man sich kaum mit einem identifizieren. Natürlich entwickelt man Sympathien für den einen oder anderen, aber die Sympathien sterben recht schnell mit den Teilnehmern. Anfangs denkt man, dass sich für den einen oder anderen Teilnehmer das Blatt noch rechtzeitig zum Guten wenden wird. Diese Vorstellung kann man sich jedoch getrost abschminken, denn im Interview hat Meißner erklärt, dass er das Turnier nicht geplant hat, sondern nach Rollenspielregeln ausgewürfelt hat. Jede glückliche Wendung wäre eine Mogelei gewesen, was inakzeptabel ist. Das Turnier ist daher auch nicht vorhersagbar und es gibt auch keine Überraschungen, höchstens für manchen (Teilnehmer) eine Enttäuschung. Aber so ist das nun mal im Dreck.
Das soll nun aber nicht heißen, dass das Buch eine Enttäuschung ist. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits ist es wunderbar beschrieben, andererseits ist es herzlos, brutal und – real.
Und ganz ehrlich: Entweder habe ich den Schluss nicht verstanden oder er soll einfach so sein – anders. Lässt man den Schluss außer acht, kann man das Buch unter Vorbehalt empfehlen. Auf den Nachttisch gehört es jedenfalls nicht.
Prädikat: Der Schluss und die Brutalität haben Das Paradies der Schwerter den Buchtipp gekostet. Wer’s anders mag und hartgesotten ist, sollte hier zugreifen.
Technische Daten:
Autor: Tobias O. Meißner
Titel: Das Paradies der Schwerter
ISBN-10: 349226588X
ISBN-13: 978-3492265881
Umfang: 362 Seiten