Ich habe keinen Fernseher mehr, bekomme trotzdem aber noch gelegentlich mit, was in den Programmen läuft. Vor einem halben Jahr hingen an den Plakatwänden seltsame Anzeigen mit einem mit Blut bespritzen, grinsenden Dexter. Der Sinn, über einen Serienkiller eine Fernsehserie zu drehen, erschloss sich mir damals nicht so ganz. Wie kann ein Bösewicht die Hauptfigur einer Serie sein, mit der sich der Zuschauer üblicherweise identifizieren soll?
Nun habe ich – für die Erstveröffentlichung von Jeff Lindays Debüt fast vier Jahre zu spät (Wo war ich bloß die ganze Zeit?) – den ersten Teil über Dexter gelesen und verstehe seine Popularität.
Der Inhalt
Dexter Morgan ist Blutspurenanalytiker bei der Polizei von Miami. In der übrigen Zeit ist er als Serienkiller unterwegs, um die ganz bösen Typen zu beseitigen, was seine Aversion gegen Blutspuren erklärt. Er ist ein Monster, das andere Monster aus dem Weg räumt. Feuer bekämpft man am besten mit Feuer. Diesen anderen Teil beschreibt Dexter als:
Dunklen Passagier, der sich gemütlich in die Rückbank des Fords Ka von Dexters hypothetischer Seele kuschelt.
Und gelegentlich lässt er den Passagier ans Steuer, damit dieser eine Runde drehen kann.
Dexter beschreibt sich nicht als Mensch, sondern gibt nur vor, ein Mensch zu sein, indem er sich Emotionen und menschliches Verhalten von seiner Umgebung abgeschaut hat und imitiert. Und damit kommt er ganz gut durch.
Dexters Schwester ist ebenfalls bei der Polizei von Miami und ihre Gruppe fahndet zur Zeit nach einem Serienmörder, der seine weiblichen Opfer ausbluten lässt, um sie anschließend zerstückelt und verpackt irgendwo abzulegen.
“Direkt da drüben. Die Müllsäcke. In jedem steckt ein Leichenteil. Er hat das Opfer in Stücke geschnitten und die dann wie Weihnachtsgeschenke eingewickelt. Hast Du jemals so etwas gesehen?”
Selbstverständlich hatte ich das.
So mache ich es.
Genau da ist das Problem: Die Vorgehensweise entspricht der von Dexters Dunklem Passagier. Dexter ist verwirrt, weil er von den Taten träumt. Hat sich sein Passagier, für den er gelegentlich auf den Beifahrersitz rutscht, ohne sein Wissen das Auto ausgeliehen während er schlief?
Dexter muss auf eigene Faust ermitteln, um sich selbst seine Unschuld zu beweisen. Außerdem kann er ja niemandem gegenüber erwähnen, weshalb er sich so gut in den Täter hineinversetzen kann, oder?
Das Buch
Die Geschichte wird von Dexter selbst erzählt. Die Erzählung ist immer wieder makaber, manchmal auch politisch nicht korrekt, aber trotzdem humorvoll.
Finden Sie nicht auch, dass dunkelhaarige Mädchen und dunkelhäutige Mädchen die gleiche Chance haben sollten, entführt, vergewaltigt und vor laufender Kamera ermordet zu werden [wie die vermissten hellhaarigen Mädchen]?
Dexter ist kein Zyniker, sondern eher kindlich verspielt. Er ist nur zu den “richtigen” Leuten grausam, nämlich zu denen, die es verdient haben. Und weil der Leser diese Selbstjustiz nachvollziehen kann, macht das Dexter trotz seines Hobbys zu einem Sympathieträger.
Man freut sich schon auf die nächsten Ausflüge mit seinem Passagier.
Prädikat: Grausam, makaber, gut.
Technische Daten:
Autor: Jeff Lindsay
Titel: Des Todes dunkler Brunder
Originaltitel: Darkly Dreaming Dexter
ISBN: 978-3-426-62807-2
Umfang: 350 Seiten
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